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Gewalt im Namen Jesu? |
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Von Lars Kunkel (20.07.2015)
Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis
Jesus ist die Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben? Kann und darf man in der Kirche überhaupt noch von Gewalt sprechen? Oder muss man nicht vielleicht sogar über Gewalt sprechen? Die Predigt über den sogenannten "Missionbefehlt" macht sich auf die Suche nach Antworten zum Thema "Gewalt in und durch die Kirche".
Am Ende des Gottesdienstes stehe ich wie immer an der Tür, um die Besucher zu verabschieden und ihnen noch einen schönen Sonntag zu wünschen. Händeschütteln, ein paar freundliche Worte, aber dann steht da vor mir eine Frau, die mich böse anfunkelt. „Also, ein schöner Gottesdienst, vor allem die Taufen“, sagt sie, „aber dass Sie in der Kirche immer noch von Gewalt reden, das finde ich furchtbar.“ Ich schaue die Frau etwas verständnislos an. Was meint sie denn? Was regt sie so auf? „Na, dieses Jesuswort: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Dass Sie da immer noch von Gewalt reden. – von Gewalt muss ich nicht auch noch in der Kirche hören“. Zugegeben, ich war da ein bisschen erstaunt und mir ist darauf nichts eingefallen.
Gewalt in der Kirche? Es reicht jedenfalls nicht, ein Wort durch ein anderes zu ersetzen. Das ist nichts weiter als politische Korrektheit, bei der man bestimmte Worte einfach nicht mehr sagen darf. Viel wichtiger ist es doch, dass über Gewalt geredet wird, gerade auch in der Kirche. Über Gewalt muss man reden, Gewalt muss benannt werden, denn wir alle machen Erfahrungen mit Gewalt. Manchmal kommt es mir so vor, als ob die Zeitungen fast nur aus Gewaltmeldungen bestehen. Es gibt ganz offene Formen von Gewalt, Tötung, körperliche Angriffe, aber auch eher indirekte Formen, wenn große Firmen ihre Macht gegen Menschen oder die Politik ausspielen und Druck machen.
Wenn wir mit Konfirmanden über Gewalt reden, zeigt sich schnell, das
jeder damit Erfahrungen hat. Ärgern, anrempeln, provozieren, mobben,
jeder erlebt das. Und jeder von uns hat wahrscheinlich in diesem Sinne
schon einmal Gewalt ausgeübt. Gewalt tut weh, verletzt, macht Angst und
schadet dem Menschen und der Welt und darum muss gerade in einer Kirche
über Gewalt geredet werden. Sie muss aufgedeckt und angeklagt werden.
Ehrlicherweise
muss man dann auch von der Gewalt durch die Kirche sprechen. Unser
Predigttext ist in der Lutherbibel sehr unglücklich mit „Missionsbefehl“
überschrieben. Befehl zur Mission - allein schon diese Worte lösen
eine ganze Reihe Gedanken an die dunklen Kapitel der Kirchengeschichte
aus.
Die Zwangstaufen in der Zeit Karls des Großen, die allerdings
von der Kirche durchaus kritisch gesehen wurden, die Kreuzzüge mit ihren
Gewalttaufen und vielleicht der Gedanke der Weltmission überhaupt. Im
Missionsbefehl heißt es ja „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker:
Taufet sie“. Dieser Aufruf Jesu ist in manchen Zeiten als Legitimation
verstanden worden, notfalls auch mit Gewalt zu bekehren und das
Christentum in dieser Welt durchzusetzen. Monotheistische Religionen wie
das Christentum oder eben auch der Islam tragen einen
Absolutheitsanspruch in sich, und damit sind Konflikte mit anderen
Religionen und Weltanschauungen vorprogrammiert. Und wie es scheint,
erlebt in Zeiten, in denen sogenannte Gotteskrieger, die sich
fälschlicherweise auf den Islam berufen, Angst und Schrecken verbreiten,
der Kreuzzugsgedanke eine Renaissance, wenn doch immer wieder behauptet
wird, das westliche Werte wieder mehr durchgedrückt werden müssen.
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Worte von George Bush, der den
Krieg gegen den Irak als von Gott legitimiert verstanden und behauptet
hat, von Gott den Befehl dazu bekommen zu haben.
Jeder einigermaßen
aufgeklärte Mensch weiß, dass die Religion immer wieder für die eigenen
Machtinteressen benutzt wurde. Kriege und Konflikte werden als
Religionskriege bezeichnet und sind doch Kriege um Geld, Macht, Öl,
Diamanten, Wasser oder Land. Allerdings sind es gerade Bibelstellen, wie
der sogenannte Missionsbefehl, die die Religion zum leichten Opfer
solcher Machtinteressen machen.
Und gerade darum finde ich den
anstößigen Satz Jesu so entscheidend: „Jesus Christus spricht: Mir ist
gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ „Mir ist gegeben“: Jesus
hat sich Macht und Gewalt nicht genommen, er hat sie nicht an sich
gerissen, sie ist ihm von Gott gegeben. Ihm ist die Gewalt gegeben, und
da liegt sie in den besten Händen. Dieser Jesus hat seine Gewalt, seine
Machtgewalt ja gerade in dem vollkommenen Verzicht auf Gewalt ausgeübt.
Kurz nach seiner eigenen Taufe, die ihn zum Gottessohn macht, wird er in
der Wüste mit der Versuchung konfrontiert, Herrschermacht zu bekommen.
Alle Völker würden ihm zu Füßen liegen und er selbst wäre unverwundbar.
Vor einem solchen Jesus hätten die Menschen Angst haben müssen, aber
eine solche Macht und Gewalt lehnt Jesus ab.
Man muss Gott gehorchen
und nicht seine eigenen Interessen mit Gewalt durchsetzen. Und Gott zu
gehorchen, heißt für Jesus, zu den Menschen zu gehen und ihnen zu
helfen. Jesus zieht durch das Land, ohne Waffen, ohne Schutztruppen und
riskiert sein Leben. Er streitet sich mit den Mächtigen, die, auch im
Namen der Religion, mehr an sich denken als an die Notleidenden. Er geht
hin zu den Menschen, er heilt, er schenkt Liebe und Wärme. Er nimmt die
Menschen an, die sich selbst nicht annehmen können. Seine Waffe im
Kampf gegen Ungerechtigkeit ist die Gewaltlosigkeit. Jesus fordert in
seiner berühmten Bergpredigt dazu auf, die andere Wange dem Schläger
auch noch hinzuhalten und eine zweite Meile mehr mit dem zu gehen, der
eine Meile fordert, und begründet damit den gewaltfreien Widerstand, den
wir später mit Namen wie Gandhi oder Martin Luther King verbinden. Er
ruft zur Feindesliebe auf. Er sagt bei seiner Verhaftung: „Wer zum
Schwert greift, wird durch das Schwert sterben.“ Jesus reitet auf einem
Esel in Jerusalem ein und verzichtet auf alle Merkmale von Gewalt und
Macht. Und schließlich hängt er da am Kreuz. Seine Macht liegt in seiner
Ohnmacht, seine Gewalt in dem Verzicht auf jede Gewalt. Aber eben das
macht ihn so stark.
Das macht ihn in seinem Ruf zum Frieden und
seinem Einsatz für die Menschen so mächtig. Mächtig genug jedenfalls,
dass dieser machtlose Rabbi als Sohn Gottes erkannt wurde und sich auf
ihn eine große Bewegung beruft, das Christentum und die christliche
Kirche, deren Grund und Fundament dieser gewaltlose und ohnmächtige
Gottessohn ist.
Vor diesem Hintergrund liest sich der sogenannte
Taufbefehl Jesu ganz anders. „Gehet hin …“. In der Nachfolge Jesu kann
das nur heißen, so zu den Menschen hinzugehen, auf sie zuzugehen, wie
Jesus selbst das getan hat: liebevoll und auf Augenhöhe. Aber Hingehen
ist wichtig. Nicht mit dem Ziel, jemanden zu missionieren, sondern denen
zu begegnen, die müheselig und beladen sind und sie zu erquicken, ihnen
aufzuhelfen, Beistand zu geben, offene Ohren und Herzen zu haben,
mitzuleiden und sie überhaupt erst einmal in den Blick zu nehmen.
Mission kann heute nicht mehr heißen, anderen meine Religion
aufzudrängen, sondern Christentum zu leben. Menschen zu helfen, sie
anzunehmen und ihnen Freiräume zu öffnen.
Man kann Menschen nicht
einfach zu Jüngern machen, das ist schon theologisch falsch, weil
Nachfolge eine Gnade Gottes ist und durch den Heiligen Geist geschieht.
Aber es ist gut, christliche Werte zu leben und Nächstenliebe zu üben.
Glaube ist in diesem Sinne keine Privatsache, sondern soll sich in der
Welt zeigen. Gut erklären kann man das am Beispiel unserer evangelischen
Kindergärten. Da leben Kinder mit ganz unterschiedlichen
Glaubensrichtungen zusammen, und bei uns sind die Christen darin sogar
eine Minderheit. Aber wir sind ein evangelischer Kindergarten und das
nicht nur, weil wir mit den Kindern Gottesdienste feiern und aus der
Bibel vorlesen, sondern weil wir christliche Werte leben. Jeder Mensch
ist ein Geschöpf Gottes, begabt und geliebt und soll in Frieden
miteinander leben. Annahme und Toleranz auf der einen Seite, aber auch
das Eintreten für die Würde und Gleichwertigkeit eines jeden Menschen
heißt den christlichen Glauben leben und dabei niemanden umzudrehen oder
auf „Teufel-komm-raus“ zu bekehren.
In die Welt zu gehen, heißt,
seinen Glauben zu leben und für die Kirchen insgesamt Position zu
beziehen, wenn es um das Aufdecken von Gewalt geht und gegen Zwang,
Machtmissbrauch und Unterdrückung einzutreten und zwar so, wie Jesus es
selbst vorgelebt hat.
Unser Predigttext heute sind die letzten Worte
Jesu im Evangelium. Und sie enden nicht nur mit einem Auftrag, sondern
mit einer Verheißung: „Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende
der Welt.“ Was wir tun, tun wir nicht aus eigener Kraft und nicht, um
unsere Ziele durchzusetzen, sondern durch den, dem alle Gewalt gegeben
ist, im Himmel und auf Erden. Dem Sohn Gottes, der auf alle Gewalt
verzichtete und Mensch wurde, damit wir menschlicher werden.
Und der Friede Gottes, der höher steht als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. AMEN!
© Pfr. Lars Kunkel, Kaiserstraße 26, 32545 Bad Oeynhausen
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