Von Petra Henning (16.11.2010)
Predigt zur Thomasmesse
„Engelspuren“
in Text und Musik haben uns bereits mit auf den Weg genommen – hin zum Thema
Engel. Und ich bin mir sicher, eine eigene Einstimmung haben Sie auch schon
mitgebracht, denn Engel sind doch irgendwie gar nicht mehr wegzudenken aus
unserem Alltag. „Engel haben Hochkonjunktur“ heißt es im Katalog zum Projekt
„Engel in der Stadt“, das wir heute eröffnen. Ja, in Werbung oder Dekoration,
in Büchern, Liedern und Texten begegnen sie uns in vielfacher Form, und das bei
weitem nicht nur zur Adventszeit.
Nun
ist es natürlich möglich, darüber die Nase zu rümpfen und über Kitsch und
Versicherungsmarketing zu schimpfen. Wir können uns aber auch auf die Suche
machen und danach fragen, wofür Engel stehen und ob wir als Christinnen und
Christen dieses Feld so einfach den Bereichen der Werbung, Dekoration und
Esoterik überlassen sollten.
Um
es vorweg zu nehmen: ich finde, wir sollten das nicht tun!
Für
Anselm Grün sind Engel „Bilder der tiefen, bleibenden Sehnsucht nach
Hilfe und
Heilung, die nicht aus uns selber kommt.“ Dieser Einschätzung möchte ich
mich
anschließen. Und ich folgere daraus, solche Bilder und – die Engel also –
nicht einzubeziehen in unseren Glaubensalltag
und diese Sehnsucht nicht ernst zu nehmen, würde bedeuten, die Augen
gegenüber
gemachten Erfahrungen und ausgedrückten Gefühlen vieler Menschen zu
schließen.
Wir
Menschen haben offenbar eine tiefe Sehnsucht danach, dass es jenseits
unseres
Alltags etwas gibt, was uns im Leben und im Tod umfängt. Und viele haben
auch
den Wunsch nach Verbindung mit einer Sinnhaftigkeit, die über unser
Weltgefühl
hinausreicht. Religion bietet Texte, Symbole, Werte und Wege an,
Verbindung –
Bindung zu bekommen. Engel sind eins davon.
Von
guten Mächten wunderbar geborgen. So bekennen es seit eh und je die, die
mit
Gottes Möglichkeiten rechnen. In der Bibel haben sie manchmal Namen, wie
Michael, Raphael und Gabriel. Manchmal sind sie aber auch namenlos,
geradezu
flüchtig, erscheinen aus dem Nichts und entschwinden wieder.
Im Leben kommen sie uns manchmal
als Schutzengel daher. Erlebnisse dieserart haben sicher viele von Ihnen
schon
selbst gehabt. Situationen, in denen Sie dachten: da hatte ich aber
einen
Schutzengel!! Oder in denen das jemand anderes zu ihnen sagte.
Ich hatte grad diese
Woche eine solche Situation im
Straßenverkehr, als ich als Linksabbiegerin in die Werster Straße trotz –
so
dachte ich – sorgfältigem Gucken einen Wagen von links übersah, der dann
aber
geistesgegenwärtig reagierte und so den Zusammenstoß verhinderte. Das
war für
mich ein Moment, wo es mir durch und durch ging und in mir blitzte auf:
da hat
dein Schutzengel aber ganze Arbeit geleistet!
Ein anderer Aspekt wird durch
einen der eher verborgenen Sätze im Neuen Testament deutlich: Jesus hat
von den
Kindern geredet und seiner großen Zuneigung zu den Kleinen. Und dann
warnt er
davor, die Kleinen zu verachten. Denn: „Ihre Engel im Himmel sehen
allezeit das
Angesicht meines Vaters im Himmel.“ Das heißt: Jedes Kind hat einen
Engel in
der unsichtbaren Welt, einen Schutzengel mit direktem Zugang zum
himmlischen
Weltregiment. Vielleicht liegt es auch daran, dass Kinder viel mehr von
dieser
verborgenen Welt wahrnehmen.
Von einer Kollegin, die in
der Kinderhospizarbeit tätig ist, weiß ich von einem kleinen Mädchen,
die
unheilbar krebskrank war. Um sie herum war jene gedrückte Stille, die
oft
eintritt, wenn der Tod naht. Aber sie saß in ihrem Bett und sagte nur:
„Hört
ihr das denn nicht, ich höre schon die Engel im Himmel singen.“
Ich
höre schon die Engel im Himmel singen!
Jesus
hat nie zu den Kindern gesagt: Werdet bloß endlich erwachsen, damit ihr
vollwertige Menschen werdet. Er hat vielmehr zu den Erwachsenen gesagt:
Wenn
ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nie verstehen, nie
ergreifen, nie
für euch erfassen, was Gott euch schenkt. Nicht das Kindische, aber
diese
Fähigkeit zu sehen und zu vertrauen meinte er.
Zweierlei ist mir and dieser
Stelle wichtig festzuhalten:
Erstens:
Engel, wie sie uns begegnen,
und wie sie uns in der Bibel gezeigt werden, „müssen nicht Männer mit
Flügeln
sein“. Sie sind weder zwangsläufig pausbäckig wie die Putten, noch sind
sie
immer geflügelt. Auch wenn sich diese Vorstellung durchhält bis zur
geflügelten
Jahresendfigur aus DDR-Zeiten. Engel können in jeder möglichen Gestalt
erscheinen: unsichtbare Boten Gottes, die den Straßenverkehr für kurze
Zeit
unterbrechen, Gestalten aus hellstem Licht, unscheinbare Helfer – ja,
ein Autofahrer,
der im richtigen Moment hellwach ist und reagiert oder auch ein Mensch,
der
einem anderem zum Engel wird, indem er einfach da ist und mit aushält,
was so
schwer auszuhalten ist.
Nicht
auf die Gestalt kommt es an!
Immer
aber sind es Wesen, die etwas mit Gottes Fürsorge zu tun haben. Der
Engel ist
stets ein Zeichen für Gottes reiche Möglichkeiten, unser Leben zu
erhalten und
zu fördern. Und über eines bin ich mir sicher: Oft haben wir es nicht
einmal
bemerkt, dass uns ein Engel beistand und Schaden von uns fernhielt.
Engel – das
ist auch der Unfall, der nicht passierte. Das ist der Baum, der nicht
umfiel.
Das ist die Entscheidung, die ich dann doch richtig getroffen habe oder
der
Moment, wo sich mir etwas in den Weg stellt, das mich hindert zu tun,
was ich
eigentlich unbedingt tun will.
Also: durchaus nicht nur
„Männer mit Flügeln“.
Und zweitens:
Vielleicht grummelt es jetzt
schon bei diesem und jener. Denn jedem, der von wunderbarer Rettung
erzählt,
könnte einer widersprechen, der Schlimmes erlebte, ohne dass ein Engel
zur
Stelle war. Das Kind, das missbraucht wurde. Der Mann auf den Schienen,
den
keiner aufhielt: „Personenschaden zwischen Bad Oeynhausen und Löhne“
heißt es
dann! Wo waren sie denn da, die himmlischen Helfer? Da gibt es wohl
niemanden,
der darauf eine Antwort hätte!
Auch die Engel beantworten
diese notvolle Frage nicht! Die Engel heben nicht auf, dass es in dieser
Welt
so zugeht. Sie machen kein Ende mit der Ungleichheit, dass die einen
bewahrt
werden und andere nicht.
Und
doch kommen wir wenigstens noch einen Schritt weiter: Dietrich
Bonhoeffer
schrieb sein Gedicht von den guten Mächten gerade nicht, weil er etwa
erfahren
hätte, er würde freigelassen. Ihn holte kein Engel aus dem Gefängnis und
kein
himmlischer Bote mit flammendem Schwert trat dazwischen, als die Nazis
ihn
hinrichteten. Um ihn herum eine zerbombte und zerstörte Stadt. Und
Bonhoeffer
wusste das! Er sah sich geborgen und getragen auch mitten im Leid,
mitten in
der Not und Todesnähe. Gerade da: Von guten Mächten wunderbar geborgen.
In
einem der letzten Briefe, Ende Dezember 1944 schreibt er an seine
Verlobte, wie
sehr ihn ein Lied tröstet, das manche von Ihnen vielleicht noch aus
Kindertagen
kennen:
„Abends
wenn ich schlafen geh,
14 Engel um mich stehn,
zwei zu meinen Häupten,
zwei zu meinen Füßen,
zwei zu meiner Rechten,
zwei zu meiner Linken,
zwei, die mich decken,
zwei, die mich wecken,
zwei, die mich weisen
zu Himmels Paradeisen.“
Das
ist es: nicht vor allem Bösen bewahren die Engel Gottes, aber noch im
Schwersten
stehen sie zur Seite, trösten, halten, stützen und stärken – und am Ende
geleiten sie hinüber in das Licht Gottes. So erlebte es das kleine
Mädchen im
Hospiz, so glaubte es Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis. So können auch
wir es
einbeziehen in unser Leben.
Von
guten Mächten wunderbar geborgen.
Ich
bin davon überzeugt: Spuren der Engel leuchten in jedem Lebenslauf immer
wieder
auf. Nicht jeder möchte sie wahrnehmen, aber sie wirken!
Wir
sind moderne Menschen. Wir kommunizieren mit Hilfe von E-Mails, SMS und
Internet von jedem Ort der Welt. Wir sichern unzählige Daten auf DVDs,
CDs und
Festplatten. Doch wir sind auch Verunsicherungen ausgesetzt. Wir spüren,
dass
wir auch in einer Zeit großer Veränderungen leben. Wir fragen uns
manchmal, was
ist wichtig in unserem Leben? Und oft ist unsere Seele voller Sehnsucht
nach
spiritueller Erkenntnis, nach Begleitern, die noch den Durchblick haben.
Die
Engel helfen uns, wenn wir denn offen dafür sind, zur inneren
Gewissheit: da
ist einer, der dich kennt, der dich liebt und der dich durch dein Leben
in
hellen und dunklen Tagen begleitet. Da ist einer, der seinen Engeln
befohlen
hat, dich auf allen deinen Wegen zu behüten.
Bleibt
uns, zu schauen, wie wir Engel hinein lassen in unser Leben.
Eine
Möglichkeit dazu hat Martin Luther uns in seinem Abendsegen gegeben, mit
dem
ich schließen möchte:
Luther formuliert:
Des
Abends, wenn du zu Bett gehst, kannst du dich segnen mit dem Zeichen des
heiligen Kreuzes und sagen:
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen
Darauf
kniend oder stehend das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. Willst
du, so
kannst du dies Gebet dazu sprechen:
Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus
Christus, deinen
lieben Sohn, dass du mich diesen Tag gnädiglich behütet hast, und bitte
dich,
du wollest mir vergeben alle meine Sünde, wo ich Unrecht getan habe, und
mich
diese Nacht auch gnädiglich behüten. Denn ich befehle mich, meinen Leib
und
Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, dass
der böse
Feind keine Macht an mir finde.
Alsdann flugs und fröhlich
geschlafen.
Amen – so sei es!
Allerdings
heute noch nicht so ganz schnell, sonst würden Sie die Eröffnung der
Ausstellung
„Engel in der Stadt“ verpassen. Und das wäre schade!
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